Die Friedersdorfer Siedlung

eine kleine Chronik

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© Andreas Garten 2017 - 2024

Die Siedler und die Eisenbahn

Die Siedler leben seit Bestehen des Wohngebietes mit den Vor- und Nachteilen der Eisenbahn. Einige Bewohner waren oder sind noch in verschiedenen Tätigkeiten bei der Bahn beschäftigt.
Zu den Vorteilen gehörte es, dass das am Bahndamm wachsende Gras für die Fütterung der Haustiere verwendet werden konnte. So weidete z.B. Erhard Haase seine Schafe auf den damals noch vorhandenen Wiesen links und rechts der Weißen Brücke. Mit der Sense wurden der Bahndamm und der Abkürzungsweg zur Weißen Brücke regelmäßig gemäht, aber auch die Schafe hielten das Gras kurz.

In Richtung Weißbach wurden auf beiden Seiten des Bahndammes auf der Dammkrone Brandschutzstreifen angelegt und regelmäßig umgepflügt. In bestimmten Abständen waren auch Schutzstreifen hinunter zum Bahngraben angelegt, die von den Siedlern verbotenerweise als Abkürzung über das Gleis am Vorsignal in den Wald genutzt wurden, besonders in der Pilzzeit. Der bewaldete Bahndamm galt in früheren Zeiten als Geheimtipp für Pilzsucher. Leider wachsen heute durch die Gartenabfälle einzelner Siedler keine Pilze mehr und die Abschnitte drohen abzurutschen.

Die Hausfrauen in den vergangenen Jahrzehnten waren von der Eisenbahn nicht so begeistert, wie ihre Kinder, denn der Rauch und die Feinstaubteile in Form von Ruß verschmutzten die auf dem Rasen zum Bleichen liegende Wäsche. Auch die Wäsche auf der Leine musste manches Mal mehrfach gewaschen werden. Und sogar die Schädlinge im Garten waren von den Dampfloks nicht begeistert. 

Die Lok 52 8020 am 19. Oktober 1986 von Bischeim nach Pulsnitz kurz vor der Weißen BrückeFür die Kinder ist die Eisenbahn stets ein Anziehungspunkt gewesen: Besondere Höhepunkte und Erlebnisse gab es damals, wenn ein Güterzug mit seiner Dampflok in Höhe der Siedlung wegen Dampfmangel in der Steigung der Strecke zum Stehen kam. Für Lokführer und Heizer war das allerdings nicht so toll. Sie kamen jetzt erst recht ins Schwitzen, brauchte es doch seine Zeit, wieder den erforderlichen Druck im Kessel zu erzeugen, bei der zur Verfügung stehenden Kohle oftmals eine Kunst. Die Zugleitung erwartete dann auch eine Begründung der Verspätung. Die Kinder warteten stets bis das „Schauspiel“ vorbei war.

Da in den 50er Jahren die Kohlen nur auf Marken zu erhalten waren, nutzten wir Kinder die Zeit der langsam vorbeifahrenden Güterzüge mit Kohle, um vom Schaffner auf dem Bremserhaus des letzten Wagens Briketts zu „betteln“. Selten wurden wir vom abspringenden Schaffner davongejagt. Warum wir jedes Mal bis zur Kreuzung gerannt sind ...? Dankbar waren wir für jedes Brikett, das uns heruntergeworfen wurde.

Beim Halt eines Kohlezuges in Höhe der Siedlung wegen Dampfmangel fand ebenfalls eine Selbstversorgung mit Kohle statt. Man durfte sich nur nicht erwischen lassen. Es soll aber auch Einwohner gegeben haben, die von der Weißen Brücke aus versuchten, Briketts zu „entladen“.

Groß war die Freude, als eines Tages bekannt wurde, dass sich während der Fahrt, aus welchen Gründen auch immer, die Wagentür eines mit Briketts beladenen Wagens selbsttätig geöffnet hatte und die Briketts entlang der Strecke in Höhe der Siedlung verteilt waren. Da hatten alle schnell die nötigen Körbe, Eimer und Säcke bereit, um das Gleis wieder zu „säubern". Es waren alle Gebrechen und Verletzungen schnell vergessen. Schließlich waren Kohlen knapp.

Die Dampflokomotiven sorgten damals aber auch dafür, dass der Bahndamm stets vom Eichenlaub befreit wurde, war es doch an trockenen Tagen leicht entzündbar. Bahndammbrände konnten deshalb regelmäßig verzeichnet werden. Die angelegten Brandschutzstreifen sollten das Übergreifen auf den Wald und die Grundstücke verhindern.

Manche Siedler nutzten die Eisenbahn für ihren Weg zu den Arbeitsstellen in Kamenz, Großröhrsdorf, Radeberg oder Dresden vom Bahnhof Pulsnitz aus. Aber auch Fahrten in den Urlaub oder auch nach Lübbenau in den Spreewald waren bis zum 23.Mai 1998 möglich.

Diese Zeiten sind inzwischen Geschichte, Die Dampflokomotiven sind vor den Reisezügen und später auch vor den Güterzügen verschwunden. Erinnerungen existieren nur noch durch Lok-Schilder der Baureihe 52 oder in Form von Petroleum-Schlußlampen oder Weichenlaternen auf den Grundstücken.

Die zwischenzeitlich eingesetzten Diesellokomotiven sind im Reiseverkehr ebenso nicht mehr zu sehen, wie auch die vielen Güterzüge. Nach kurzer Zeit hat auch das Interesse daran bei den Kindern nachgelassen, es war eben „normal“. Nur selten kann man heute einen Güterzug mit Diesellok beobachten, der hauptsächlich Leerwagen für die Schotterwerke nördlich von Kamenz befördert.

Dampflokomotiven vor Sonderzügen haben inzwischen Seltenheitswert und ziehen deshalb viele Schaulustige an, sofern das Verkehren dieser Züge durch den „Buschfunk“ bekannt wird, meistens jedoch zum Pfefferkuchenmarkt Anfang November. Bei Bauarbeiten und Havarien sind weiterhin noch Güterzüge zu sehen:

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Doppeltraktion 232 255 und 232 254 (je 3000 PS) am 22.08.2012

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Güterzug mit der Lok HHPI 29003 (3000 PS) am 12.08.07

BR642.jpgDer Reiseverkehr zwischen Kamenz und Dresden wird heute durch moderne Triebwagen durchgeführt, deren Farbe sich seit dem 12.12.2010 ebenfalls geändert hat, als die Städtebahn Sachsen den Betrieb übernahm. Das Bild zeigt den Triebwagen 642 340-840 am 31.08.14 an der Weißen Brücke in Fahrt-richtung Pulsnitz.

Heute ist mancher Opa oder Vater enttäuscht, wenn er seinem Enkel oder Kind einmal einen Zug zeigen will und gerade keiner vorbeikommt, haben sich doch auch die Geschwindigkeiten geändert und früher hörte man eben die Dampflokomotive schon von Weitem kommen.

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Seit dem 25.07.2019 hat die Städtebahn Sachsen ihren Betrieb eingestellt und wenige Tage später Insolvenz angemeldet. Damit gibt es erstmalig seit der Unterbrechung durch die Zerstörungen am Ende des zweiten Weltkrieges  keinen Schienen-Reiseverkehr zwischen Arnsdorf / Radeberg und Kamenz. Der kurzfristig eingerichtete Schienenersatzverkehr war keine wirkliche Lösung, denn die Reisezeit verdoppelte sich nahezu. Und gerade im Berufsverkehr standen die Busse genau so im Stau wie jeder andere Straßenverkehrsteilnehmer.

Nach einigen wirtschaftspolitischen Turbolenzen und gegenseitigen Schuldzuweisungen aller Beteiligten insbesondere wegen Problemen bei der Schadensregulierung durch Zusammenstöße mit umgestürzten Bäumen (siehe nebenstehendes Bild vom 25.07.2017)  fuhren mit Beginn des Schuljahres 2019/20 ab 19.08.2019 die Triebwagen wieder. Für den Fahrgast spielen die Machtspiele im Hintergrund bekanntlich keine entscheidende Rolle. Hauptsache, die Züge fahren entsprechend des Fahrplans. Für die Triebfahrzeugführer und Zugbegleiter sieht das ganz anders aus.

Am 16.09.2019 konnte man der Sächsischen Zeitung entnehmen, dass der Gewinner der Notvergabe durch den Verkehrsverbund Oberelbe die  Transdev, ein Unternehmen aus Frankreich, ist. Der Name ist zwar relativ unbekannt, aber es ist schon seit vielen Jahren in unserer Gegend aktiv. So gehört ihm das Nahverkehrsunternehmen RVO beispielsweise zu 74%. Transdev möchte das komplette Personal der insolventen Städtebahn übernehmen, so dass der Reiseverkehr auf der Schiene wieder in ruhigeren und stabilen Verhältnissen fährt. Zumindest in den nächsten 2 Jahren, denn nur für diesen Zeitraum gilt wegen des Notvergabe-Verfahrens der Zuschlag des VVO.

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Auch bereits geplante Verbesserungen wie der 30-Minuten-Takt zwischen Kamenz und Dresden will der neue Betreiber umsetzen, sobald die noch vor der Städtebahn-Insolvenz beantragten Mittel freigegeben werden. Da das aber nicht passiert ist, hat der vorgesehene Betreiber DB Regio seine Triebwagen nach Norden versetzt. Aber immerhin sehen wir stündlich je Richtung wenigstens einen Zug fahren, was andere Strecken der MRB nicht vergönnt ist. Dort fahren seit August 2019 Busse. Seit 16.01.2020 erleben die Siedler zweistündlich einen Nostalgiezug der Pressnitztalbahn mit Reisezugwagen der 70erJahre, aber einer modernen Diesellok, da die MRB erneut defekte Triebwagen abstellen muss. Am 26.03.2020 endete die interessante Aushilfe. 

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Am 14.Oktober 2021 wurde in Kamenz der neue Verkehrsvertrag des VVO mit der DB Regio AG nach gewonnener Ausschreibung unterzeichnet. Neu ist, dass ab 12.Dezember 2021 künftig in der Hauptverkehrszeit der bereits länger angekündigte 30-Minuten-Takt umgesetzt wird. Eine weitere Neuheit ist, dass die bisherige Regionalbahn (RB) erstmals auf dieser Strecke in eine S-Bahn S 8 umbenannt wird, da die Strecke nach Aussage des VVO S-Bahn-Standard hat. Neu ist, dass sich durch den Betreiberwechsel die Farbe der Triebwagen wieder in rot ändert, DB Regio übernimmt das Personal der MRB. S-Bahn-Standard heißt jedoch nicht, dass unsere Siedlung an der Weißen Brücke einen neuen Haltepunkt Pulsnitz Nord erhält, das hat bereits Steina an der Brücke nach Weißbach versucht. Der VVO hat dieses Anliegen abgelehnt.

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Bis zum 11. Dezember 2021 konnten wir die letzten verfügbaren Triebwagen der Mitteldeutschen Regiobahn auf unserer Strecke sehen. Da ihr Einsatz ab Fahrplanwechsel bei einem anderen Unternehmen vorgesehen war, fuhren sie die letzten Einsatztage bereits ohne Anschriften. Das Foto zeigt einen der beiden letzten im Einsatz befindlichen Triebwagen 642 342 als RB 34 Fahrtrichtung Dresden mit falscher Fahrtrichtungsanzeige an der Weißen  Brücke am 11.Dezember 2021. Damit endete vorläufig der Einsatz einer Privatbahn im Rahmen des Verkehrsvertrages des VVO auf unserer Strecke.

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Mit dem neuen Fahrplan ab 12. Dezember 2021 sind auf unserer Strecke wieder die roten Triebwagen zu sehen, wie sie bereits vor dem Einsatz der geleasten Fahrzeuge der Städtebahn Sachsen eingesetzt wurden. Das Foto vom ersten Betriebstag der S 8 zeigt den  642 014-514 von DB Regio Fahrtrichtung Dresden an der Weißen Brücke am 12. Dezember 2021. Die Fahrzeuge wurden kurzfristig aus Kempten im Allgäu nach Dresden geholt und werden noch einige Zeit Werbung für das Bahnland Bayern machen.

(20220112 Wolfgang Ullrich)